Wir sind kulturrelevant – Das Nachtleben zwischen Aktion und Stillstand

  • Foto: ELYSION

Kneipen, Bars, Clubs – ist das Kultur? In der Pandemie hat diese Frage an Bedeutung gewonnen. Abseits der Hochkultur ist dieser Teil des Lebens besonders für junge Leute von kultureller Relevanz. An diesem Punkt finden sich viele Clubs und Bars: Zwischen Aktion und Stillstand. Zwei Kulturformen, zwei Gespräche, zwei Ansätze. Ein Ziel: Die Menschen wieder zusammenzubringen. Denn Menschen sind es, die diese Kulturformen zu dem machen, was sie sind.

Autorinnen: Caecilia Geismann, Marina Knust / Redaktion: Friederieke Butzheinen, Chiara Gröning


Freitagabend, 19 Uhr auf der Kyffhäuser Straße im Kölner Zülpicher Viertel. Auf den ersten Blick fällt das grün leuchtende Schild kaum ins Auge. Vielmehr ist es die kleine Menschentraube vor dem Eingang, durch die man auf das „Meltdown“ aufmerksam wird. Tritt man ein, ist sofort klar: Dies ist keine gewöhnliche Kölner Kneipe.

Gaming Bar mit Wohnzimmer-Flair in Köln

© Meltdown Cologne – Einrichtung im Inneren der Bar

Das Meltdown ist Kölns erste und einzige Gaming Bar. Im Inneren erwartet die Gäste eine Reihe an Spielkonsolen, Computern sowie eine große Auswahl an Getränken. Zusätzlich finden regelmäßig (Themen-) Events statt: von Pen and Paper Abenden über das Nerdquiz bis hin zu eSports-Turnieren. Ins Meltdown kommt man aber nicht (nur) zum spielen. Man erlebt in dieser Bar mit Wohnzimmer-Flair eine ganz besondere Atmosphäre.

Live-Events statt Bier

Jetzt – bald 7 Monate nach der Schließung aller Gastronomiebetriebe – herrscht im Meltdown eine ganz andere Stimmung als die oben beschriebene. Bereits im ersten Lockdown beschloss Andreas Malessa, auch Andy genannt und Besitzer der Gaming Bar, die Zeit während der Schließung zu nutzen. Er bot fast täglich verschiedene Online-Formate über den Meltdown Twitch Kanal an. 

Das Meltdown-Team tauschte kurzerhand Biergläser und Cocktailshaker gegen Kopfhörer und Streaming-Equipment aus. So konnten die Gäste beispielsweise bei „Dungeons & Workouts“ zu Hause sportlich aktiv werden. Bei einer Tour durchs Veedel probierten sich die Mitarbeiter des Meltdowns durch die to-go Angebote der umliegenden Bars und Restaurants – alles live zum mitverfolgen. Die Zuschauer*innen erwartete bei den Streams eine gute Mischung aus Spaß und Spannung.

Youtube-Video – Live-Events statt Bier

Mit erhöhtem technischem Aufwand wurden Events wie das Nerdquiz oder der Pen and Paper Abend ebenfalls über Twitch gestreamt. Dies kam bei der Community gut an, da nun auch Menschen außerhalb von Köln an den Events teilnehmen konnten.

Gelohnt hat sich der Aufwand definitiv: Bei einer Harry Potter Sonderedition des Online-Nerdquiz kamen außergewöhnlich viele, nämlich sage und schreibe 90 Teams zusammen. So konnte das Meltdown trotz der Pandemie für Gemeinschaftsgefühle zu Hause sorgen – und das in sogar noch größerem Ausmaß.

© Meltdown Cologne – Streaming-Ecke

Finanzierung mit Merch und Mexikaner

Wie aber hat sich die Finanzierung in dieser Zeit der Schließung gestaltet? Zunächst richtete das Meltdown die Möglichkeit ein, im Twitch-Stream Geld zu spenden. Hinzu kam Merch in Form von T-Shirts, Mützen, Gesichtsmasken sowie die Möglichkeit, die Bar mit einem monatlichen Betrag über Patreon zu unterstützen. Im Gegenzug werden für Unterstützer*innen täglich Behind-the-Scenes-Videos veröffentlicht. 

Um den Gästen ein wenig Meltdown-Feeling in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, findet seit dem zweiten Lockdown einmal wöchentlich ein Fensterverkauf statt. Cocktail-Liebhaber*innen müssen somit nicht auf die originellen Meltdown-Cocktails verzichten. Diese werden ebenso wie der hausgemachte Mexikaner-Schnaps in Flaschen verkauft. Jedoch fehlen trotz der großen Bemühungen des Teams und der Community nach wie vor wichtige Einnahmen.

Die Inzidenz sinkt, die Öffnung rückt näher

Betreiber Andy blickt einer möglichen Öffnung gleichermaßen mit Hoffnung und Sorge entgegen. Auf der einen Seite steht die Freude über ein Wiedersehen mit alten und neuen Gästen. Auf der anderen Seite sieht er die Schwierigkeiten, vor denen die Bar bei der Wiedereröffnung steht. Die Entwicklung der Inzidenzen abzuschätzen, gestaltet sich sehr schwierig. Um alles für die Öffnung vorzubereiten, müsse man mit circa einer Woche Arbeit rechnen.

Durch Corona hat sich die gesamte Atmosphäre verändert. Im Normalbetrieb konnte die Bar Platz für bis zu 150 Menschen bieten. Die besonders an Wochenenden viel genutzten Stehplätze sorgten erst für das richtige Meltdown-Feeling. Seit den Corona-Einschränkungen musste die Kapazität auf 60 Sitzplätze reduziert werden, Stehplätze sind komplett weggefallen.

Die Bar lebt im Normalbetrieb davon, von Tisch zu Tisch gehen zu können und mit mehreren Gruppen Kontakt zu haben. Das ist eben das Besondere am Meltdown.

Andy

Umso mehr freut sich Andy , wenn die Gäste – wie im letzten Sommer – der Bar auch bei verschlechterten Bedingungen treu bleiben.

Trotz der Unterstützung der Community steht die Gaming Bar an einem Punkt, an dem viele Kulturschaffende ebenfalls stehen. Coronahilfen kommen nicht an, Online-Formate erzielen keine ausreichenden Einnahmen und es ist sehr schwierig einzuschätzen, wann wieder geöffnet werden kann und darf. 

Außerdem habe er den Eindruck, dass die Club- und Kneipenkultur in den Öffnungsplänen der Bundesregierung oft nicht ausreichend berücksichtigt wird. Zwar hält Andy die Corona-Maßnahmen und Hygieneregelungen für sehr wichtig, er sieht aber auch kritisierbare Punkte. In der Vergangenheit äußerte er seine Meinung in diversen Youtube-Videos auf dem Kanal des Meltdowns. Das Feedback dazu sei größtenteils positiv.

Youtube-Video – 3 Monate Lockdown – so öffnet die Gastro (nicht)

Level up für die Zukunft

Der Umgang von Kulturschaffenden mit der Krise kann sehr unterschiedlich aussehen. Andy möchte sich in Zukunft wieder auf das Kernkonzept der Gaming Bar konzentrieren. Die Online-Formate haben für eine Übergangszeit gut funktioniert. Im zweiten Lockdown nahm die Teilnahme jedoch ab. In den letzten Wochen hat das Meltdown-Team daher mehr Zeit in Reparaturen vor Ort investiert. 

„So gehen wir – wenn sich die Lage gegen Herbst endgültig bessern sollte – trotz finanzieller Verluste gestärkt aus der Krise heraus“. Auch wenn sich viel verändert hat, bleibt die Vorfreude und Hoffnung auf das altbekannte Wohnzimmer-Feeling im Meltdown bestehen.

Ortswechsel – Bässe in Berlin 

© ELYSION – Veranstaltung vor der Pandemie

Konsole aus, Lichter an, Musik an, Bass aufdrehen, Leute rein, tanzen, tanzen, tanzen. Für viele Menschen der Beginn einer normalen Samstagnacht – vor der Corona-Krise. Die Berliner Clubs sind berühmt berüchtigt für ihre langen Partynächte. Besonders die Berliner Techno-Szene sorgt(e) für ausgelassene Stimmung, Freude und Liebe bei den Feiernden. Das Treffen von und Tanzen mit neuen und alten Bekannten gehörte zur Nachtordnung.

Für das junge Kollektiv ELYSION aus Berlin muss diese Realität momentan aufgrund der Pandemie pausieren. Der Kern des Kollektivs, aus sechs Freunden bestehend, veranstaltete vor der Corona-Krise rund 13 „elektronische Tanzveranstaltungen“. Nicht nur für einen schmalen Taler als Eintritt, auch freie Tanz-Openairs bzw. Festivals gehörten vor den nationalen Lockdowns dazu. Für alle, die sich zu Musik, Tanz und Bass hingezogen fühlen.

Hannes, Marsha, Max, Nanno, Nils und Tony fanden sich über erweiterte Freundeskreise und organisierten zunächst kleinere Veranstaltungen, besonders mit DJ Nanno. Mit der Zeit beschlossen die Sechs, „Sausen“ für die Öffentlichkeit zu organisieren. Seit 2018 sind sie offiziell ELYSION. Noch ist die Arbeit als Veranstalter*innen ein Hobby, sie bestehen aus Berufstätigen und Studierenden. Der Traum ist es aber, langfristig einen eigenen Club zu haben und so das Hobby zum Beruf machen zu können.

Stillstand auf dem Weg nach oben

© ELYSION

Mit Veranstaltungen wie beispielsweise „Techno Meets New Kids“ im Dezember 2019 im Berliner Club Humboldthain machten sie sich unter Feierfreudigen schnell beliebt: Sie waren auf dem Weg nach oben. Sie hatten die „richtigen Connections, die richtigen Locations und die richtigen Leute”. Dann kam der erste Lockdown. Dies bedeutete Stillstand für die Arbeit des Kollektivs. Auch wenn es im April 2020 einen Livestream mit Nanno als DJ gab, einen Abend wie vorher konnte und kann das, in den Augen des Kollektivs, nicht ersetzen. 

Seit Ende letzten Jahres ist es auf Social Media um das Kollektiv still geworden. Sie wollen keinen Content erstellen, ihr Business lebt von echten Menschen, von echten Emotionen, vom realen Leben. Sobald es Neuigkeiten gibt wollen sie wieder aktiver werden. Finanziell haben sie immerhin keine Probleme. Es gibt kein Büro oder Angestellte, die bezahlt werden müssen. Glück im Unglück. 

Elektrisierende Stimmung 

Trotz der neuen und unbekannten Situation im letzten Jahr, ließ sich das Kollektiv nicht kleinkriegen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für die nach Musik lüsternen Menschen, planten sie ein Wochenende mit zwei Open-Airs. Eintritt frei, kein Gewinn, aber auch kein Verlust. Auf dem H13 Gelände sorgten sie unter dem Motto „Social Dis‘dancing“ an zwei Abenden Ende August 2020 für Musik, Getränke und die Freude am Tanzen und Leben. Ein Hygienekonzept war obligatorisch. Die Stimmung auf dem Festival war trotz der Regeln elektrisierend. Für viele die erste Möglichkeit, seit Langem ausgelassen zu feiern.

Nanno, Teil des Kollektivs, bei Soundcloud

„Die Menschen sind ausgehungert.“

Da die Inzidenzen stetig sinken, sind in Berlin kulturelle Veranstaltungen mit bis zu 250 Personen wieder erlaubt. Für ELYSION ein Lichtblick. Auf die Frage, ob es Pläne im Sommer gebe, grinsen sie. Die Vorfreude ist unverkennbar. Sie wollen „die ein oder andere Sause steigen lassen“. Für Ende Juli ist also ein Festival geplant. Die Hoffnung bleibt, dass die Inzidenzen weiter sinken und das Zusammenkommen einer größeren Zahl von Personen unter freiem Himmel gestattet wird. Das Feiern, dieses Gefühl, lebe von vielen Menschen. 

Dabei werden sie auf jeden Fall auf die drei Gs (genesen, getestet, geimpft) achten. Für alle, die es nicht mehr geschafft haben sollten, sich vorher testen zu lassen, überlegen sie, ein Testzelt am Eingang einzurichten. 

In irgendeiner Art und Weise wird das junge Kollektiv aus Berlin nach eigenen Angabe definitiv etwas veranstalten. Der Druck sei da. Sie sprechen von „Suchtdruck“. Sie wollen wieder veranstalten. Die Menschen seien „ausgehungert“, ihnen fehle das gesamte Feeling – das möchte man wieder haben.

Ausreichend Desinfektion in der Zukunft 

Wenn die Pandemie sich irgendwann dem Ende neigt, wollen sie nicht mehr auf die AHA-Regeln im Club bestehen – das müsse jeder Mensch für sich selbst entscheiden, wie er mit der Situation umgehe. Ausreichend Desinfektionsmittel und Seife wollen sie aber beibehalten.

Gelernt haben sie jedenfalls, dass alles auf einen Schlag vorbei sein kann. Der Spaß mit Freunden sei nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor zwei Jahren. Man hoffe auf eine baldige Rückkehr der “elektronischen Tanzveranstaltungen” mit reichlich (gesunden) Feierfreudigen, denn auch das ist Kultur in Deutschland. Stay tuned.

Leben wieder auf Play

© www.laurimahr.art

So unterschiedlich die beiden Kulturformen auch sind – Gaming Bar in Köln und Kollektiv aus Berlin – haben sie eines gemeinsam: Sie sind Kultur und zeigen, dass sie nicht nur vor der Pandemie für Spaß und Freude bei der Bevölkerung sorgten, sondern dass es einige Konzepte gibt, die auch während einer globalen Pandemie umsetzbar sind. Manche mehr, manche weniger. Beide Formen leben von dem Kontakt zu ihrer Community. Jetzt aber fiebern alle dem Zusammentreffen der Communities ohne pandemischen Beigeschmack entgegen. 

Konsolen, Bässe und Lichter wieder an.

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